Als in Berlin die Willkommensklassen angekündigt wurden, fühlte sich Frau Poznyak gleich berufen. “Ich hatte große Lust, etwas für ukrainische Kinder zu machen, und ich wusste auch, ich kann ihnen mehr bieten als Deutsch beizubringen“, berichtet sie. Jetzt betreut sie mit drei Teamkolleginnen seit einem halben Jahr die ersten Willkommensklassen am Campus Hannah Höch und erweist sich dabei als echter Glücksfall für unsere Gemeinschaftsschule.
Nicht nur erfüllt die studierte Fremdsprachenlehrerin ihre Aufgabe mit viel Expertise und großem Engagement. Sie beweist zudem als Sozialpädagogin einen feinen und differenzierenden Blick auf jedes einzelne der Kinder in den Willkommensklassen. Im Umgang mit den ukrainischen Familien hilft ihr sehr, dass sie die gleichen Muttersprachen sprechen, im Umgang mit den Arabisch sprechenden syrischen Kindern verlässt sie sich viel auf ihren geschulten Blick und ihr Bauchgefühl. “Ich erkenne zum Beispiel inzwischen ziemlich schnell, wenn ein Kind psychologische Hilfe braucht. Dafür habe ich einen Sinn entwickelt“, sagt sie selbst.
Wobei: Etwaige “Probleme“ der Kinder sind nicht der Punkt, an dem Frau Poznyak bei ihrer Arbeit am Campus ansetzt. “Meine Herangehensweise ist nicht, da kommen Kinder, die Probleme haben; da gibt es ein Trauma“, erklärt sie. “Sondern, da kommen ganz unterschiedliche Kinder, die ich begleite. Und dann gucke ich, wo ich sie individuell abholen soll und was sie brauchen. Da macht es für mich keinen Unterschied, ob es ein ukrainisches Kind ist, ob es Krieg erlebt hat oder ob es zu Hause Probleme hat.“
Im Rückblick auf das erste halbe Jahr Willkommensklassen am Campus erkennt Frau Poznyak, wie gut es für die Grundstufen-Willkommenskinder ist, in die Regelklassen integriert zu sein. Kritisch sieht sie dagegen das Mitleid, das den geflüchteten Kindern anfangs gezeigt wurde, und die teilweisen Ausnahmeregelungen wie etwa Handynutzung, die ihnen erlaubt wurden. “Das war falsch!“, urteilt sie heute. “Sie profitieren selbst davon, wenn sie von Anfang jeden Tag im normalen Klassenverbund gefordert werden und funktionieren müssen.“
Zwischen Russland und Ukraine kann sie im Kopf gar nicht trennen
Frau Poznyak kam selbst vor schon 20 Jahren als au pair nach Deutschland, um ihr Deutsch zu verbessern. Dann begann sie, hier zu studieren. Ursprünglich stammt sie aus Russland aus einer Stadt nahe der Grenze zur Ukraine. Zwischen den beiden Ländern, die sich jetzt im Krieg gegeneinander befinden, kann sie gar nicht trennen. “Ich hatte immer viel mit der Ukraine zu tun. Ich habe in der Ukraine gearbeitet. Ich habe viele Freunde und Verwandte in der Ukraine“, erzählt sie. “Wenn ich von der Ukraine und den Ukrainern spreche, spreche ich immer von ‘uns‘.“
Ihr persönlicher Werdegang hilft ihr im Umgang gerade mit den ukrainischen Kindern. Sie weiß, wie es ist, ohne entsprechende Sprachkenntnisse in ein fremdes Land zu kommen. “Sprache ist für alle Willkommenskinder ein Problem“, berichtet sie und erkennt da kulturelle Unterschiede: Die ukrainischen Kinder seien aus Angst vor Fehlern gehemmt, Deutsch zu sprechen. “Dieses für das Sprachenlernen kontraproduktive Verhalten, dieses ‘Ich darf keine Fehler machen und muss perfekt sein‘ stammt noch aus Sowjetunion-Zeiten. Ich kenne das selbst noch“, erklärt Frau Poznyak. Bei den syrischen Kindern beobachtet sie ein anderes Verhalten: Bei einem Test gehe es den Kindern nur um eine gute Note, nicht um das Überprüfen des eigenen Wissens oder Könnens. Aber die syrischen Kinder am Campus kämen leichter auf Deutsch ins Sprechen.
Schwierigkeiten haben die Willkommenskinder manchmal auch noch mit dem viel Freiheit erlaubenden, aber gleichzeitig ein gewisses Maß an Selbständigkeit voraussetzenden Schulsystem, berichtet Frau Poznyak. Die meisten wollten aber auch künftig am Campus bleiben. Zwischen ihr und den Eltern der Kinder herrscht inzwischen ein richtiges Vertrauensverhältnis. “Ich bin überrascht und dankbar, dass sie mit mir Russisch sprechen, was nicht selbstverständlich ist, weil sie sich untereinander auf Ukrainisch unterhalten.“
Den Kindern mehr Erfolgserlebnisse verschaffen
Ihr erstes Fazit nach einem halben Jahr Willkommensklassen am Campus: “Wir haben eine gute Beziehung zu Kindern und Eltern aufgebaut.“ Für die kommende Zeit wünscht sie sich, dass die Willkommenskinder mehr gesehen werden und ihre übrigen Fähigkeiten zeigen können, damit sie mehr Erfolgserlebnisse haben.
Übrigens: Beinahe wäre Frau Poznyak gar nicht an den Campus Hannah Höch gekommen, denn als sich im Sommer vergangenen Jahres Frau Ristow bei ihr meldete, hatte sie schon einer anderen Schule zugesagt. Dennoch vereinbarte Frau Poznyak mit unserer Schulleiterin ein Treffen. Jetzt sind beide jetzt heilfroh, dass sie danach beruflich zusammengefunden haben. “Nach dem Treffen wollte ich unbedingt hier arbeiten“, erinnert sich Frau Poznyak. Und Frau Ristow lobt Frau Poznyak und deren Kolleg*innen im Willkommensklassen-Team als “Superkräfte“ und “beherzte Pädagoginnen“.
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