Irgendwie können wir es immer noch nicht ganz begreifen, dass wir Abschied nehmen müssen von Michael Tlustek – Schulleiter, Pädagoge, Mentor, Förderer, Wegbereiter und Menschenfreund, der über fünf Jahrzehnte hinweg das Leben und Lernen an der Hannah-Höch-Grundschule, auch auf dem Weg hin zum Gemeinschaftsschul-Campus, zutiefst geprägt hat.

1975 trat Michael Tlustek erstmals in die damalige 31. Grundschule ein. Ab 1986 übernahm er zunächst kommissarisch, 1990 dann offiziell die Rolle des Konrektors, bevor er 1992 zum Schulleiter ernannt wurde. Die Schule hat in ihrer Entwicklung seinem Engagement, seinem Herz und seinem innovativen Geist sehr, sehr viel zu verdanken – weit über seine “Dienstzeit“ hinaus, zuletzt in der Rolle des Vorsitzenden des Fördervereins der Schule.
Vor allem aber hat er das reformpädagogische Profil der Schule geprägt und ist maßgebliche Schritte in ein “neues Lernen“ und zur Schulform “Gemeinschaftsschule“ gegangen. Schritte, die wir lebendig halten und immer wieder neu gehen müssen, weil sie auch und besonders in der heutigen Zeit richtig und wichtig sind.
Vieles von dem, was Stefan Ruppaner, der ehemalige Schulleiter der Alemannenschule Wutöschingen, in seinem aktuellen Bestseller “Das könnte Schule machen“ schreibt, könnte auch aus Michaels Feder stammen. “Wenn man Schule verändern will, darf man nicht mit dem anfangen, was nicht geht, sondern mit dem, was geht“ – von dieser Haltung war auch Michael geprägt.
Michael war ein leidenschaftlicher Visionär. Mit seinem Mut zu Reformen und seiner Kreativität schuf er Räume für ein neues, kindgerechtes Lernen. Ob mit dem Aufbau der Lernetagen gemeinsam mit Architekturstudierenden, mit individuellen Lernplänen, freien Lernzeiten oder Unterricht durch Erleben – sein Ansatz war geprägt von Respekt gegenüber der Individualität jedes Kindes und dem Wunsch, dass sich die positiven Anlagen, Stärken und Talente zeigen und entfalten dürfen.

Er glaubte daran, dass Lernen Spaß machen darf und muss, und dass Kinder nur dann wachsen können, wenn sie sich gesehen und wertgeschätzt fühlen.
Besonders wichtig war ihm der Kontakt zu den Familien. Mit großer Offenheit und Empathie führte er Hausbesuche ein, um nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Lebensrealitäten kennenzulernen. Sein Blick war stets auf das Ganze gerichtet – auf das soziale Miteinander, auf Gerechtigkeit und Teilhabe. Kein Kind sollte zurückgelassen werden.
Michael war ein diskussionsfreudiger Denker, dem keine Idee zu groß und keine Herausforderung zu schwierig war. Ob Zirkuszelt oder Karussell für das Schulfest – seine Antwort lautete nie “geht nicht“, sondern stets: “Dann machen wir es eben selbst.“ Seine Begeisterung war ansteckend, sein Tatendrang inspirierend. Wiederstände konnten ihn und seinen Enthusiasmus oftmals nicht aufhalten. Fehler wurden stets als Lernanlass für alle Beteiligten gesehen.
“Dann machen wir es eben selbst.”
Michael Tlustek
Er prägte nicht nur die Schularchitektur und das reformpädagogische Profil der Schule maßgeblich, sondern führte den Campus Hannah Höch auch gegen Widerstände in die Schulform der Gemeinschaftsschule – ein mutiger, zukunftsweisender Schritt. Auch nach seiner Pensionierung blieb er der Schule verbunden, insbesondere als engagierter Vorsitzender des Fördervereins. Viele Feste sowie hitzige, fröhliche und tiefgründige Gespräche verdanken ihre Energie seinem ungebremsten Eifer für wirklich gute Schule und “neues Lernen“, das sich vom Industriezeitalter verabschiedet.
Wer Michael begegnet ist, erinnert sich an sein verschmitztes Lächeln, seinen Erfindergeist, seine Zugewandtheit und Herzlichkeit, aber auch seine Klarheit und sein “Hart in der Sache sein“, wenn es um die Grundlagen und Rahmenbedingungen für eine zukunftsweisende Lernkultur und Ganztagsschule als Lebensort ging. Er konnte zuhören, fördern, möglich machen, mitreißen und ermutigen, aber auch fordern – und er hatte die Gabe, in jedem Menschen das Besondere zu erkennen.
Michael wirkte weit über seine Dienstzeit hinaus, seine zutiefst menschliche Haltung bleibt maßgeblich für diese Schule und ihr Programm. Wir verlieren mit ihm einen großartigen erfahrenen Pädagogen und Schulleiter, einen außergewöhnlichen Menschen und einen Freund. Wir sind dankbar für die Zeit und die Begegnungen mit ihm. Und wir werden seine Impulse weitertragen – für eine Schule, die immer wieder den Mut hat, lernen neu zu denken – mit Humanität und Humor.
Schulleiterin Clara Wengler
Berlin, im Juni 2025

Mehr über Michael Tlustek
- Traueranzeigen: Gedenkseite von Michael Tlustek im “Tagesspiegel”
- Nachruf: Die Jugendkunstschule ATRIUM zum Tod von Michael Tlustek
- Interview von 2010: Michael Tlustek über seinen Schulalltag und seine Sicht auf das Bildungssystem
- bildungSPEZIAL, 2011: Das Raumkonzept der Hannah-Höch-Schule
- Spiegel Online, 2008: “Die pädagogische Revolution hat längst begonnen”

“Ein sehr mutiger Mensch und ein starker Mutmacher”
“Ich habe Herrn Tlustek im Zuge des Grundschulprogramms 2000 kennengelernt, welches ich mit meinen Mitarbeiter*innen Anfang dieses Jahrhunderts wissenschaftlich begleitet habe. Herr Tlustek war einer der Wegbereiter des jahrgangsgemischten Lernens an Berliner Grundschulen. Seine Erfahrungen und seine Entschlossenheit haben uns sehr geholfen, anderen Schulen Mut zu machen.
Er war eben nicht nur ein sehr mutiger Mensch, sondern auch ein starker Mutmacher. Ich habe ihn immer sehr geachtet und seine stille Art, an seiner Schule relativ weit reichende Reformen einfach auf die Schiene zu setzen, sehr bewundert.
Zusammen mit Alexandra Wolfframm – die Frauen in seinem Team waren bedeutsame Unterstützer seiner Ideen! – war er das, was man zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in der Weimarer Zeit die “entschiedenen Schulreformer“ nannte: Menschen, die in der Lage und bereit waren, Schule neu zu denken und neu zu gestalten, Menschen, die Schule, Staat und Gesellschaft zusammen dachten und sich entschieden für demokratische Strukturen einsetzten – gegen den erbitterten Widerstand der Konservativen und der Nazis.
Soweit ich weiß, hat sich Herr Tlustek auch nach seiner Pensionierung lokal noch stark eingebracht. Das wäre typisch für ihn.”
Prof. i. R. Dr. Jörg Ramseger (bis 2016 Professor für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Grundschule und Leiter der Arbeitsstelle Bildungsforschung Primarstufe an der Freien Universität Berlin)